Tuesday, November 29, 2005

Hoffest, ein Berliner Monolog

Der Theatertext Berlin Stadtbahn von Volker Lüdecke beinhaltet den Monolog Hoffest
Copyright und Aufführungsrechte liegen beim Autor. Kontakt: volker.luedecke@yahoo.de

Textfassung:  
HOFFEST

Klint, schlafend im Bett. Neben dem Bett Bierdosen, Plastiktüten, Wecker. Sein Bierbauch hebt und senkt sich. In seinen Ohren stecken zerknüllte Taschentücher.
Klint wacht durch Hundegebell auf, schaltet eine Lampe an. Geräusche, Musik und lauter werdende Stimmen dringen durch die Wände des Mietshauses herein.

Klint:
Ein Nichts ist man, ein Nichts! Aber früh aufstehen soll ich. Der Hund da oben!
Schweißnass. Dreiuhr durch.
Morgen muss ich, darf ich nicht vergessen. Heute! Hundertachtundsiebzig Tage noch. Endlich Urlaub! Ich reise mit dem Flieger, raus und drüber weg. Schnauze, Mistvieh, Platz!
Hat eine Darmkolik, vermisst sein Herrchen.
Das war`s für diese Nacht: zwei Stunden Schlaf, acht Stunden Arbeit! Tierquäler! Lassen den Hund alleine, dass er weint.
Esst selber Dosenfutter! Hör auf zu jaulen, du stinkender Chappifresser!


Klint setzt sich im Bett auf.


Klint: Ich zahle mehr als die da oben, und darf laut Mietvertrag kein Haustier halten. Seit Generationen hausen die über mir, machen Lärm! Aus Langeweile! Unkündbar!
Trampeln, toben sich aus. Kassieren Gelder, und kaufen Hundefutter! Schmarotzer! Hausbesitzer wäre ich auch gern. Mieten rauf, damit die ausziehen müssen!

Ein lang gezogenes Hundegeheul. Klint heult mit. Der Hund verstummt, Klint heult wie ein Kojote weiter.

Klint: Grausam, der Hund hat Trauer. Wie wenn sie tot sind. Sind sie etwa tot?
Nachbarn lagen tot, tagelang in ihrer Wohnung. Von herzlosem Nachbarn unentdeckt. Ihr Hund kam um. Vor Kummer.
Wie schrecklich anonym ist diese Stadt!

Er ruft laut in Richtung Zimmerdecke.

Klint: Erst wenn euer Mageninhalt durch meine Decke sickert, schlage ich Alarm.

Der Ton eines Videos wird laut, das jemand in einer Nachbarwohnung schaut.

Klint: Dolby Surround! Haha, Herr Nachbar ist auch endlich aufgewacht. Muss eine halbe Stunde später raus für die Karriere, Heimkinoheini! Der Zuckerhund da oben wird mir heute noch sympathisch.

Gegen die Wand der Nachbarwohnung gerichtet schreit Klint.

Klint: Wenn du soviel verdienst, dann zieh doch an den Wannsee! Billigen Wohnraum besetzen? Doppelt kassieren? Ruhe! Pornovideovoyeur!
Jeden Abend Gestöhne, Wichslärm. Geh doch ins Stundenhotel mit deiner Glotze! Bei Stress schüttelt der ab. Und wann hat der mal keinen?

Klint schlägt mit den Fäusten gegen die Wand.

Klint: Beamtenarsch! Schwarzgeldkassierer! Fühlt sich hier als Herr im Haus, nur weil sein Gehalt jedes Jahr automatisch steigt. Rolltreppe in den Himmel! Tritt auf der Stelle, und wird trotzdem größer.

Klint hämmert mit einem Schuh gegen die Wand.

Klint: Schalt deine Terrorschallanlage aus, oder ich meißele mich durch diese Pappe! Dann trete ich in Erscheinung.

Klint baut sich drohend vor der Wand auf. Plötzliche Stille. Klint weicht vor der Wand zurück, geht in Deckung.

Klint: Der geht Jagen bei Wandlitz, übt auf dem Schießstand. Reiz den Eber nicht zu sehr, sonst rennt er dich über den Haufen. Ich war`s nicht, Herr Nachbar. Das war der Hund.

Stille, dann ein leises Geräusch vom Hinterhof. Eine einzelne Flasche fällt im Hof in die Glastonne.

Klint: Das muss der Müllsortierer sein. Parterre, die Familie ist im Urlaub.

Klint öffnet sein Fenster zum Hof.

Klint: Überraschung! laut hinaus rufend Dich zeige ich an wegen Ruhestörung! Wenn du noch einmal frühmorgens die Mülltonnen kontrollierst, dann entsorge ich dich gleich mit!

Klint schließt das Fenster, lacht in sich hinein.

Klint: Nur immer fürs reine Gewissen selektiert! Die wirklichen Verbrechen kommen nicht ans Licht!

Klint öffnet das Fenster wieder, schreit hinaus in den Hof.

Klint: Anti-Atomkraft-Öko!

Klint schließt das Fenster, lacht wieder in sich hinein. Musik schallt in den Hinterhof. Klint wird noch wütender.

Klint: Pass auf, dass dir die Endstufe nicht durchknallt! Bei deinen schäbigen paar Watt Musikleistung!

Klint schließt das Fenster, lacht wieder in sich hinein. Kann sich vor Lachen kaum einkriegen.

Klint: Je eher sie durchknallt, desto besser!

Die Musik im Hof wird immer lauter und verzerrter. Klingt bereitet sein Frühstück.

Klint: Wie vor fünfzehn Jahren. Hoffest. Mieter machen was gemeinsam. Schallplatten tauschen, Pizza backen, fassweise saufen. Nicht schlecht! Danach ging meine Müsli Ehe in die Brüche. Und Schlägerei im Treppenhaus.
Kein Hoffest mehr, man geht sich seitdem aus dem Weg.
Schön! Der Müllsortierer will mir mein Weißblech Dosenbier vermiesen. Der einzig gute Mensch im Haus! Kriegt sein Leben nicht geregelt, aber denkt an die Zukunft kommender Generationen!

Eine Glasflasche zerschellt laut im Hinterhof.

Klint: Das war Helgas Nachtflasch! Sie will jetzt schlafen. Vierter Stock, ganz oben. Ihr Glück ein Scherbenhaufen! Soll der alte Besen fegen! Alleinerziehende Mutter.

Klint frühstückt.

Klint: Den Bengel erziehe ich dir, habe ich ihr angeboten. Wollte sie nicht. So schön bist du schon lange nicht mehr, Mutter!
Der Vater der Rotzgöre: ein Urlaubsschnäppchen! Kam beim Hoffest raus. Bauarbeiter in Spanien! Zahlung? Nicht mehr zu ermitteln! Aber ich bin ihr nicht fein genug!


Klint zieht Anzug und Krawatte an. Sieht darin aus wie ein mittlerer Büroangestellter. Betrachtet sich im Spiegel.

Klint: Nun ist der Traumschlaf uns vorbei. Dafür der Tagtraum gratis. Und, prachtvoll gefärbt von reflektierter Morgenröte, bietet sich ein Schauspiel, das jeder hohen Weihe trotzt. Denn es bedient die schlichte Lust, die Schadenfreude, und den niederen Geschmack.

Klint nimmt seine Aktentasche und verlässt die Wohnung.

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