Tuesday, November 22, 2005

Bruesseler Spitzen

Wolfgang Hosfeld und Eckart Strehle in der Inszenierung von Britta Geister Text: Volker Lüdecke
Musik: Manfred Effinger


Maxim Gorki Theater 2000, zu Gast in der Werkstatt des Schiller Theater in Berlin.







Brüsseler Spitzen von Volker Lüdecke


Rastplatz in einer ländlichen Gegend. Taxifahrer, am Taxi lehnend, beobachtet seinen Fahrgast. Der uriniert in seine Schuhe.

Taxifahrer:
Immer weg halten vom Wind, mein Herr, hier weht eine steife Briese.
Böckwitz:
Raus aus dem Schlamassel, raus! Im Flieger gibt´s Cognac und hübsche Stewardessinnen.
Taxifahrer:
So kann ich Sie nicht ins Taxi lassen, das läuft am Hosenbein runter ins Schuhwerk, ich bitte Sie.
Böckwitz:
Die in Brüssel können mich mal.
Taxifahrer:
Das kostet Sie eine Reinigung.
Böckwitz:
Gekauft, verkauft, das ist Lobbyismus. Ich habe verkauft. Ich bin der Letzte.
Taxifahrer:
Ich verlange den Fahrpreis plus Reinigung. Sie zahlen sofort. Den Gestank hält kein Mensch aus.
Böckwitz:
Vom Vater zum ältesten Sohn. Die Erbfolge. Nachweisbar seit Fünfzehnhundertsiebenundzwanzig. Ich bin der Letzte, der Letzte.
Taxifahrer:
Mein Vater war auch Kutscher. Das Geschäft ist miserabel, aber ich pisse mich doch nicht ein deswegen.
Böckwitz:
Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz.

Schweigen.

Taxifahrer:
Fertig?
Böckwitz:
Ich habe eine Phimose, wie der Doktor sagt: Phimose! Der Viehdoktor. Schweinemastbetrieb. War ein stattlicher Hof, früher.

Der Taxifahrer singt.

Taxifahrer:
Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, wo ist meine Frau geblieben ...
Böckwitz:
Mein Landarbeiter baumelte in der Scheune am Seil. Recht hatte er, das ist meine Meinung.
Taxifahrer:
Flexibel muss man sein.

Schweigen.

Taxifahrer:
Fertig?
Böckwitz:
Meine Kreditkarte ist so schwer, die lassen sie mir nicht im Handgepäck. Der schöne Hof, ein klitzekleines Stückchen Plastik!

Böckwitz furzt.

Taxifahrer:
Ich kann ja fahren wie der Teufel, aber trotzdem haben sie ihren Flieger verpasst, wenn das Vögelchen hier `rüberschwebt.
Böckwitz:
Dich kauf` ich samt deinem Taxi. Dann lasse ich dich in Einzelteile zerlegen. So machen sie`s mit den Höfen. Es herrscht Monokultur.
Taxifahrer:
Die Taschen voll Geld und jammern. Lügen muss ich mir anhören, sobald Fahrgäste reden. Nur wer schweigt, redet die Wahrheit.

Böckwitz will ins Taxi einsteigen. Der Taxifahrer hindert ihn daran.


Taxifahrer:
Nicht mit den Hosen, nicht mit den Schuhen.
Böckwitz:
Was gegen Bauern?
Taxifahrer:
Sie sind kein Bauer mehr, Sie haben verkauft.

Böckwitz packt den Taxifahrer, drückt ihn gegen das Taxi.

Böckwitz:
Wie hoch ist der Preis für ein Ferkel? Wie niedrig für ein Jungschwein? Futtermittel kostet auch was, du Lump! Ohne Subventionen bleibt dem Bauern nichts. Nur die Großen überleben, du Wicht!
Taxifahrer:
Lassen Sie mich los, sonst verweigere ich die Weiterfahrt.
Böckwitz:
Kein Bauer soll ich sein? Was, was, was denn sonst?

Böckwitz lässt ihn los. Der Taxifahrer sinkt zu Boden und kriecht auf dem Boden aus seiner Reichweite. Dann verriegelt er das Taxi per Fernbedienung. Böckwitz versucht gewaltsam, die Tür zu öffnen. Es gelingt ihm nicht.

Taxifahrer:
Was, was, was? Zentralverriegelt!

Böckwitz lässt ab. Der Taxifahrer betätigt die Fernbedienung, das Taxi ist wieder offen. Böckwitz will schnell die Tür öffnen, die Zentralverriegelung schnappt wieder zu.

Taxifahrer:
Servolenkung, ergonomische Sitze, Sendersuchlauf, und über zweihundert KmH-Spitze. So, und jetzt lassen Sie die Hosen runter, sonst Adé, Sex-Urlaub im fernen Asien.
Böckwitz:
Wie die Bauern in Frankreich stehe ich auf! Da brennt schon mal ein LKW! Die kitzeln die Mächtigen mit dem Schlachtermesser. Ein Drittel der Höfe wird bei uns in die Pleite getrieben. Wo bleibt der Bauernaufstand, wo? Erduldet wird alles, was von oben kommt, was nützt ein Einzelner, der sich wehrt?
Taxifahrer:
Kennt man ja, die Unternehmer, die jammern, wenn die Profitrate leicht fällt. Einen Unternehmeraufstand habe ich allerdings noch nicht erlebt. Wer bekommt denn in Europa die dicksten Subventionen? Die Landwirte. Und jetzt die Hosen runter, Herr Großbauer! Ich reiche Ihnen gern feines, neues Tuch aus Ihrem Gepäck.
Böckwitz:
Sie haften, verpasse ich meinen Flieger.
Taxifahrer:
In Ihrem Gestank fahr` ich nicht fort.

Der Taxifahrer öffnet den Kofferraum, macht sich an Böckwitz Koffer zu schaffen, brummelt vor sich hin.

Taxifahrer:
Kein Tag ohne Ärger! Vierzig Prozent Durchgeknallte mindestens täglich! Ich frage mich manchmal, ob das nur hier in der Gegend so schlimm ist, oder überall. Was kommt denn da zum Vorschein?

Der Taxifahrer zieht eine weibliche Gummipuppe aus dem Koffer. Böckwitz ist mit sich selbst beschäftigt.

Taxifahrer:
Wundert mich nicht. Welche Frau möchte sich heutzutage auf dem Land beerdigen lassen. Lieben Sie die?
Böckwitz:
Hände weg von meiner Frau! Ich bringe dich um, du geiler Bock, Hurensohn!

Böckwitz zieht ein Jagdmesser aus seiner Trachtenjacke, der Taxifahrer flüchtet lachend mit der Gummipuppe um das Taxi herum, verfolgt von Böckwitz, der bald keuchend innehält. Böckwitz krümmt sich, als ob er sich übergeben müsste, dann sticht er unvermittelt auf einen Reifen des Taxis ein.

Böckwitz:
Zuerst wird der Arbeitsplatz vernichtet, dann der Mensch.
Taxifahrer:
Halt! Ich fahre Sie, es tut mir leid. Bitte, steigen Sie ein! Habe mir nur einen Scherz erlaubt, mein Gott, der Stress jeden Tag, entschuldigen Sie!
Böckwitz:
Jetzt wirst du erleben, wie es mir ergangen ist.
Taxifahrer:
Hallo, Ihr Flieger wartet nicht. Zum Flughafen, Sie müssen einchecken, Ihr neues Leben beginnt. Ich wechsele schnell den Reifen, dann schaffen wir es noch.

Böckwitz geht um das Taxi herum und sticht auf den nächsten Reifen ein.

Böckwitz:
Das wird hier gründlich erledigt. Jetzt pflüg` ich den Acker, wie`s mir gefällt. Und dann Adé, krankes Land, auf nach Australien, wo es Land gibt für Farmer und keine EU.

Der Taxifahrer, mit einem Wagenheber bewaffnet, baut sich drohend vor Böckwitz auf.

Taxifahrer:
Aufhören, Sie perverser Schweinezüchter!

Böckwitz hört mit dem Reifenstechen auf, entfernt sich vom Taxi, nimmt einen Stein und schleudert ihn in die Frontscheibe, die zersplittert.

Böckwitz:
Wie in Frankreich: Aufstand, Revolution! Wer ernten will, muss sähen.

Der Taxifahrer holt das Mikrofon vom Funkgerät aus dem Taxi und spricht hinein.

Taxifahrer:
Zentrale! Zentrale, bitte!
Böckwitz:
Beistand von oben, was? Den hätte ich mir auch herbei gewünscht. Aber wir sind hier auf dem Land, Bürschchen, das kann dauern.

Böckwitz reisst die Antenne aus dem Dach des Taxis. Das Funkgerät funktioniert nicht mehr. Böckwitz drischt mit der Antenne auf das Taxi ein, zerkratzt den Lack.


Böckwitz:
Jetzt zeige ich dir mal, wie man früher das Korn drosch.

Der Taxifahrer stürzt sich auf Böckwitz, sie ringen gegeneinander. Böckwitz nimmt ihn in den Schwitzkasten, schnürt ihm die Luft ab.

Böckwitz:
Ellenbogen braucht der Mensch. Fit musst du sein, vor allem wenn sie dir die Luft abschnüren. Da bleibt der Raucher auf der Strecke.

Böckwitz stösst den Taxifahrer zu Boden, nimmt seinen Koffer, legt behutsam die Gummipuppe hinein.

Böckwitz:
So, Muttchen, jetzt machen wir endlich Urlaub.

Böckwitz geht mit seinem Koffer zur Straße.

Copyright und Aufführungsrechte: Volker Lüdecke volker.luedecke@yahoo.de

No comments: